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Franz Schubert: Lazarus oder die Feier der
Auferstehung (D 689)
Szenisches Oratorium in 3 Akten, Fragment. -
Erster und unvollständiger zweiter Akt.
Text: August Hermann Niemeyer. Komponiert Februar 1820
Abschrift aus: August Herm. Niemeyer, Religiöse
Gedichte, Halle und Berlin 1814,
S. 193-230, http://books.google.com/books?id=6gdFAAAAIAAJ&pg=PA193
Die von Schubert vorgenommenen Textänderungen sind
nicht berücksichtigt.
Christian Brückner 24.01.2025
Personen:
Lazarus (Tenor)
Nathanael (Tenor)
Simon, ein Sadduzäer (Bass)
Martha, Maria, Schwestern des Lazarus (beide Sopran)
Jemina, die auferweckte Tochter des Jairus (Sopran)
Chöre der Freunde des Lazarus (Sopran, Alt, Tenor, Bass)
Erster Teil
(Die Szene ist ein Garten vor einem ländlichen Hause, Martha und
Maria führen den kranken Bruder unter einen schattenden Palmbaum
und lassen ihn auf einen blumigen Rasen nieder.)
Lazarus. Martha. Maria.
689-01. Andante
LAZARUS. (mit schwacher Stimme)
Hier lasst mich ruhn! -
Noch einmal mich der Schöpfung Gottes freun!
Im sanften, linden Säuseln kommt
Des Gnadenvollen Stimm' und ruft,
Dass Staub zum Staube wiederkehre. -
Weint nicht, ihr teuern Seelen, weinet nicht,
Dass ich voran zu unserm Vater gehe!
Das Leben ist ein Augenblick: -
Nach einem Augenblick umarm' ich euch.
689-02. (Martha) "Nach einem Augenblick"
MARTHA. Nach einem Augenblick?
Mein Bruder, ach mein Bruder! Stunden
Sind lange Jahre ohne dich!
Und nun gehst du so fern von uns,
Ins unbekannte Land;
Und einsam bleibt die Hütte dann,
Des Schmerzes und der Sehnsucht öder Wohnplatz.
689-03. Andantino
MARIA. Trübe nicht mit Klagen seine Seele,
Dass der hohe Fried' ihn nicht verlasse!
Wohl verstumm' auch ich
Vor Gottes Führung, bet' im Staube
Gebeugt den Unerforschten an;
Ach ich fühl' es tief wie du,
Dass mein Lazarus hinwegeilt!
Doch wie glücklich! Wären wir's, wie er,
Und so wert, wie er, den Staub der Erde
Bald zu unsern Füssen zu sehn!
Hast du nur den letzten Kampf gerungen,
O dann Heil, mein Bruder, dir!
Stehe im letzten Kampf dem Müden
Herr des Todes bei,
Dass voll von hohem süssem Frieden
Ihm die Seele sei!
Wenn das matte Haupt ihm sinkt,
Wenn der Sünde Rächer,
Wenn des Todes Becher
Er mit schwachem Mute trinkt:
689-04. Arie, Andantino sostenuto
MARIA. Steh im letzten Kampf dem Müden,
Herr des Todes, bei,
Das voll von hohem süssen Frieden
Ihm die Seele sei.
689-05. Andante con moto
LAZARUS. Voll Friede, ja voll Fried' ist
Die Seele, voll des heissen Durstes
Nach der Unsterblichkeit! So leicht dacht' ich
Der Trennung Stunde nicht!
Oft, wenn ich hier
Im Palmenschatten lag, mich mit des Todes
Gedanken zu befreunden, bebte mir
Durch mein Gebein geheimer Schauer!
Das Auge schliessen, nimmer zu erwachen,
Nicht diese Flur, nicht diese Blumen, ach
Und euch, ihr Lieben, nicht mehr sehen - sterben -
Wie trübe ward's um mich, wie bang' der Seele!
Nun wird, wie Morgenlicht, es hell und heller;
Ich segne den,
Der mir des nahen Todes Botschaft bringt.
Die Vorigen. Nathanael.
689-06. (Nathanael) "So segne mich"
NATHANAEL. (der bei den letzten Worten gekommen ist:)
So segne mich, mein Bruder! Ach, so nah,
So nahe dem Grabe!
(Zu den Schwestern gewendet:)
Wie ist des Lebens Kraft geflohn!
Und Todesblässe
Liegt matt verbreitet auf
Des Dulders Angesicht;
Ein kalter Schweiss
Rinnt von der Stirn;
Es stockt der Strom in seinen Adern! -
(Zu Lazarus:)
Du bist am Ziel, am Ziel! Gott leite dich
Den letzten Schritt! Sehr nah ist die Vollendung,
Sehr nah, mein Freund!
689-07. (Lazarus) "Willkommen, mein
Nathanael"
LAZARUS. (mit schwacher Stimme:)
Willkommen, mein Nathanael!
Kommst du von unserm Meister?
NATHANAEL. Von ihm! Ich, als die Botschaft kam,
Stand dicht an seiner Seite, horchte da
Der hohen Weisheit seiner Rede: "Geh, sprach er,
Und sage meinen Freunden: «Nicht im Tode,
Im Schlummer nur ruht Lazarus; hoch werdet ihr
Den Sohn des Vaters preisen!»"
Ich eilte zu dir - nein, das ist nicht Tod!
Maria, Martha, seht den Himmelblick,
Des Lebens Vorempfindung, der den Streiter
Bald krönt, und jener süssen Ruh!
689-08. Arie, Allegro moderato
NATHANAEL. Wenn ich ihm nachgerungen habe,
Dem himmelvollen Sieger nach,
Wenn des Triumphes Wonnetag
In seiner Herrlichkeit erscheint:
Empfange dann, o Ruh im Grabe,
Um das der Liebe Harfe weint,
Wenn ich genug gekämpft, genug gerungen habe,
Auch mich so sanft als meinen Freund!
689-09. (Martha) "Nathanael, bewundern
kann ich dich"
MARTHA. Nathanael, bewundern kann ich dich,
Und dich, mein Lazarus, -
Mit solchem Mute
Der Gräber Nacht entgegen zu sehn!
Doch mich fasst noch gewaltig der Gedanke!
Ach gebt mir, gebt mir eures Trostes,
Mir eurer Ruh nur einen Tropfen! Umsonst!
Umsonst! Gedanken des Schreckens
Und grause Bilder des Todes,
Wohin ich blicke!
689-10. (Maria) "O Martha, bliebst du
stiller"
MARIA. O Martha, Martha, bliebst du stiller,
So hülfe dir, der alle Tränen zählt! -
Sieh, wie sich Gott in Lazarus verklärt,
Wie still er duldet!
LAZARUS. Wer wollt' es nicht, Maria! Mehr, viel mehr
Wird einst, der unsre Krankheit auf sich nahm,
Der uns den Weg zum Vater lehrte,
Ach der uns liebt, durch den wir selig sind,
Viel mehr wird er erdulden! - Jedes Leiden
Hat, der die Lieb' ist, Gott uns zugemessen.
689-11. Allegro moderato
MARIA: Der Trost begleite dich
Hinüber in das Reich des Lichts, hinüber,
Wo unsrer Brüder viele schon sich sammeln,
die dieser Trost in Todesstunden letzte!
Wie trüge sonst der Mensch von Erde
Der Leiden Last?
689-12. (Maria) "Wenn nun mit
tausendfachen Qualen"
MARIA. Wenn nun mit tausendfachen Qualen
Der Schmerzen Heer sich um ihn drängt;
Wenn in den Becher, der nicht mehr erquicket,
Vom wunden Auge sich die Träne mengt;
Im heissen Kampf die Wange glühet,
Vom Lager weg die Ruhe fliehet,
Auf dem das Elend matt die Hände ringt,
Die atemlose Brust mit jedem Hauch
Ein neuer Dolch durchdringt! -
Die sinkende Natur erliegt, und trägt es doch,
Und möchte gern das Qualenleben
Dem Schöpfer willig wiedergeben,
Und seufzt, und ringt, zu sterben, leidet noch
Gewaltiger, und trägt es doch!
Wer hält ihn da, dass er nicht sinkt?
689-13. Arie, Andantino
MARIA. Gottes Liebe,
Du bist seine Zuversicht.
In der Leiden bängster Nacht,
Wenn des Zweifels Sturm erwacht,
Fasst er dich, und wanket nicht.
Gottes Liebe, Fels im Meer!
Ob die Wellen
Bis zum Gipfel schwellen,
Du bist seine Zuversicht.
Die Vorigen. Jemina.
689-14. (Jemina) "Ach
so, find' ich ihn noch"
JEMINA. (Schnell herbeieilend:)
Ach, so find' ich ihn noch!
Ich ging Nathanael nach,
Verloren im Kummer,
Euch leiden zu sehn, ihr liebenden Schwestern!
"Vielleicht hat Lazarus sie schon verlassen!"
So dacht' ich, eilte schnell ihm nach, noch einmal,
Du Teurer, dich zu segnen!
689-15. Andantino
LAZARUS. Jemina, Tochter der Auferstehung, auch du?
Gott, mein Gott! wie viel der Freude
Wird mir noch, eh ich sterbe!
Viel sel'ge Stunden gab der Freundschaft Wonne
Dem Leben, dass ich lasse; alle kehren
Mit eurem Anblick mir wie Engelgestalten zurück.
Komm, Jemina, komm zu mir in die Blumen;
Sing mit ein Lied von Tod und Auferstehung,
Wie du uns oft in Sommernächsten sangst,
Wenn milder Mondenglanz
Dein Saitenspiel bestrahlte!
Einst, wenn du den Gespielen deiner Jugend,
Dort meinen Schwestern Trost singst, schweb' ich nieder
In mildem Sternenschimmer.
Und nun - vielleicht steigt mit dem Liede
Mein Geist zu Gott, nach dem er dürstet!
689-16. Arie
JEMINA. So schlummert auf Rosen
Die Unschuld ein,
Wo milde Lüfte säuselnd
Mit blüten sie bestreun!
Wie süss sie schläft! - mit Engelfrieden
Im blühenden Gesicht!
Weht leiser, Lüfte, weckt sie nicht!
So schlummert' ich,
Und die Gespielen streuten
Die Rosen Sarons über mich!
689-17. (Jemina) "Nun entflog auf
schnellen Schwingen"
JEMINA. Nun entflog auf schnellen Schwingen
Entflog mein Geist, und rang empor zu dringen;
Bald gesellten Engel sich zu mir,
"Sei willkommen, Schwester, sei willkommen!
Heil des Himmels werde dir!"
Fernher sah ich höh're Schimmer,
Zu blendend noch, doch nicht auf immer! -
Auf einmal tönte meinem Ohr,
Wie von der Erd' empor:
"Erwach, erwache, meine Tochter!"
Da kehrt' ich, wie Gedanken schnell, euch wieder,
Erwachte, hörte, noch den letzten Ton der Lieder,
Des Weinens um mein Lager, sah das Angesicht
Des Mittlers. - Brüder, Schwestern! höh're Wonne
Hat selbst der Himmel nicht! -
So war mir, Lazarus! -
689-18. (Jemina) "Ach seht, er
wird so bleich"
(Sie beugt sich über ihn.)
Ach, seht!
Er wird so bleich, so bleich!
Maria und Martha.
Unser Bruder! - Lazarus!
NATHANAEL. Mein Freund! - Mein Bruder!
689-19. (Lazarus) "Ich sterbe,
ach nun kommt"
LAZARUS. (abgebrochen) Ich sterbe, ach nun kommt
des Todes Fusstritt! -
Ich bin bereit, zu gehn den dunkeln Weg. - Er ist
Doch dunkel! - Herr, mein Hirte, führe mich!
Ach wenn - mein Herz nun bricht
Dann - Gnadenvoller, dann - verwirf mich nicht!
NATHANAEL. Heiliger, verlass ihn nicht
In der letzten Stunde!
JEMINA. Barmherziger, verlass ihn nicht
In des Todes Stunde!
(Lazarus stirbt.)
MARIA. Ach, lass von seinen Lippen mich
den letzten Segen küssen!
MARTHA. O läg ich schon wie du verhüllt
In Todesfinsternissen!
Chor von Freunden (die sich nach und nach
versammelt haben.)
689-20. Chor (Andante-Allegro)
Allgnädiger, heile du
Unsrer Seelen Wunde!
Barmherziger, verlass uns nicht
In der letzten Stunde!
Zweiter Teil
(Die Szene ist eine grünende Flur voll Grabsteine, mit Palmen
und Zedern umpflanzt; im Hintergrunde ein Hain und in der Ferne
der Weg zu Lazarus' Wohnung.)
689-21. Zweiter Teil: Einleitung
689-22. Rezitativ
SIMON. (tritt mit wilder Unruhe auf:)
Wo bin ich? Wo bin ich?
Weh! Gräber um mich, bemooste Steine,
Blumen, aus Staube gesprosst und moderndem Menschengebeine,
Tod und Vernichtung um mich her!
Und ich? - Vielleicht noch heut
Der liegenden Toten Genoss,
Hinabgesenkt in furchtbare Tiefen,
Verloschen dann, was in mir denkt,
Vertilgt Gottes Schöpfung! Wehe! Wehe!
(Er geht tiefsinnig umher, und erblick in dem Hain ein offnes
Grab.)
Bereitet schon ein Grab?
Und wärs für mich, - was bebst du denn, mein Herz?
Du sehnst dich weg aus einer Welt voll Jammer,
Du suchst nach Ruh: wo ist sie, wenn nicht hier?
Wo ist sie denn zu finden, wenn nicht hier? -
689-23. Arie, Allegro moderato
SIMON. O könnt' ich, Allgewaltiger,
Nur einmal, eh ich untergeh, nur einmal noch,
Getrost wie sonst, als ich noch süssen Traum
Vom ew'gen Leben träumte, vor dir beten! -
Ich kann es nicht! Ich kann es nicht!
Wehe! Wehe!
Ach, des grausen Todgedanken!
Alle meine Glieder schwanken!
Vor meinen Füssen offnes Grab!
Allgewaltig fasst er mich.
Tötender, erbarme dich!
Ich vergehe!
Wehe! Wehe!
Bald begräbt ein dunkles Grab
In seine Tiefen mich hinab!
Simon. Nathanael.
689-24. Rezitativ
NATHANAEL. (kommt von einer andern Seite.)
Wes ist der Klage Stimme, die mein Ohr
So bang' erschüttert? - Simon, du mein Freund?
Bleicher Harm auf deiner Wange! -
Der Geber der Unsterblichkeit
Erbarme dein sich, dass der Trost
Des ew'gen Lebens dich erquicke!
SIMON. Wie glücklich, als mir das noch Trost war,
Als Tod und Auferstehn
Und Weltgericht in meines Lebens Stille
Mir Trost war! - Aber nun,
Zu weise nur für meine Ruh,
Schwankt zwischen Sehnen
Nach ew'gem Grabesschlummer
Und kaltem Schauer
Vor Moder und Vernichtung
Die müde Seele kraftlos hin und her!
NATHANAEL. So weile hier, mein Freund! Sie tragen
Dort aus der Hütte unsern Lazarus!
Vielleicht dass im Gesang vom Wiedersehn
Dir süsse Ahndung der Unsterblichkeit
Im Herzen aufgeht!
Sieh, unsre Freunde
Sind viele schon versammelt, viel der Blumen
Schon in sein Grab gestreut. - Ihn wein' ich nicht;
Ihm ward viel Gnad' im Tode.
Sie werde dir, sie werde mir,
Wenn uns dereinst die ernste Stunde kommt!
(Er geht tiefer in den Hain, und Simon von einer andern Seite
ab.)
Chöre der Freunde des Lazarus
Martha. Maria. Jemina. Nathanael.
689-25. Chöre der Freunde des Lazarus (Andante
sostenuto)
ERSTES CHOR. (in der Ferne Freunde des Lazarus,
die dem Leichenzuge folgen)
Sanft und still schläft unser Freund!
Nach des Mittags Schwüle
Birgt ihn bald das Grab ins Kühle.
Weint, ihr Schwestern! Brüder, weint!
ZWEITES CHOR. (nah am Grabe)
Der heisse Mittag ist vorüber,
Der milde Abend wartet dein;
Das Lager süsse Ruh, du Lieber,
Nimmt dich in seine Schatten ein.
EINE STIMME AUS DEM ERSTEN CHOR.
Bestreut den Weg,
Mit Myrtenlaub die Fluren!
Die ringsum feiernden Naturen
Durchtöne banges Klagelied:
EINE STIMME AUS DEM ANDERN CHOR.
Wir streun den Weg,
Mit Myrtenlaub die Fluren.
Dir ringsum feiernden Naturen
Durchtönt der Hoffnung Wonnelied:
BEIDE.
ERSTE STIMME. Dass, der einst blühte, nun verblüht;
ZWEITE STIMME: Dass, der nun welkt, einst wieder
blüht.
ERSTE STIMME. Habt ihr die Ruhestätte
Zum Schlummer ihm bereitet?
ZWEITE STIMME. Wir haben ihm die Stätte
Zum Auferstehn bereitet.
ERSTE STIMME. So nimm ihn, Grab,
In deine Schatten auf!
ZWEITE STIMME. So wachse hier
Zur Zeder Gottes auf!
CHOR. Du nimmst ihn auf: er keimt hervor,
Und wächst zur Zeder Gottes empor!
689-26. Rezitativ
NATHANAEL. So legt ihn in die Blumen, dass wir all
Noch einmal segnend auf ihn nieder weinen.
Seht diese Ruh, auch von der Hand des Todes
Nicht weggetilgt - als träumt' er einen Traum
Von seinen Freunden! Maria, ach Maria,
Ermanne dich! - Erwacht er denn nicht einst?
Wenn nach des Schlummers letztem Augenblick
Wir all' auf Staub und Gräbern stehn?
Sie hört mich nicht, umfasst im stummen Schmerz
Den Hügel, der den Bruder decken soll.
MARTHA. Wecke sie nicht! Sie trüge den Anblick nicht mehr! -
Mein Lazarus, mein Bruder - bleich und stumm
Liegt er! O Tod, o Tod, gib ihn mir wieder!
Wo ist sein holdes Lächeln? wo
Der Lippen Melodie? Die Jugend seiner Wangen,
Wohin? Wohin? - Und bald
Die holde, freundliche Gestalt
Gebein und Staub, verloren
Im Schoss der Erde! - O versänk' ich da mit ihm!
Könnt' ich, ach könnt' ich sterben!
689-27. Arie, Allegro molto
MARTHA. Hebt mich, der Stürme Flügel
Empor zum Totenhügel!
Durch alle Sternenbahnen
Will ich, will ich ihm folgen!
Bis hier von Schubert vertont
Und stünden selbst der Engel Reihn
Um seinen Geist gedrängt,
Ich drängte nicht in ihre Reihn
Auf Fittichen der Liebe ein,
Und rief: Ihr Engel, er ist mein!
NATHANAEL. Einst, wenn vom Abend und vom Morgen her
Der Weltenrichter ruft, dann, Martha, ist er dein,
Dann ist er unser, ewig ungetrennt! -
Jetzt gebt dem Staube, was ihm angehört!
Singt, Jünglinge, singt,
Singt, Töchter, - ihr vom Tode
Und ihr vom Auferstehn das Lied!
EIN JÜNGLING. Mein stiller Abend ist gekommen:
Wo leg' ich nun das matte Haupt?
JEMINA. Im Hügel, den der Hain umlaubt,
Im heilgen Ruhetal der Frommen
(Man senkt den Leichnam in die Grabeshöhle).
EIN JÜNGLING. Ich bin des Pilgerlebens müde;
Wie säumt, wie säumt mein Vaterland!
JEMINA. Dich leite deines Engels Hand,
Und über deinem Staub sei Friede!
EIN JÜNGLING. Wer hat das Feld mit Saat bestreut?
JEMINA. Der Geber der Unsterblichkeit.
EIN JÜNGLING. Heil mir! sie ist mein.
JEMINA. Heil dir! sie ist dein.
BEIDE. Und himmlisches Entzücken.
EIN JÜNGLING. Ganz unsterblich wirst du mich -
JEMINA. Ganz unsterblich werd' ich dich -
BEIDE. An diesen Busen drücken.
CHOR. Wiedersehn! Sei uns gesegnet,
Entzückungsvolles Wiedersehn,
Wenn uns unser Freund begegnet,
Wo Engel liebend um ihn stehn!
Dieser Tag der Wonne
Trocknet unsre Tränen ab;
Hoch schwebt unsre Seele
Über unser Grab.
Dritter Teil
(Die Szene wie im ersten Teil, vor dem Hause des Toten)
Maria, tiefsinnig umhergehend. Martha.
MARTHA. (eilt auf sie zu.)
Ich hab' ihn gesehn, den Heiligen Gottes!
Erwache, Maria! er naht!
Ich flog dem Kommenden entgegen;
So stürzte meine Träne, so stürzt' ich
Zu seinen Füssen:
"Wärst Du, ach wärst Du hier gewesen,
Mein Bruder wäre nicht gestorben;
Doch noch gibt dir dein Gott, was du begehrst!"
Da lächelt' er auf mich herab, und sprach:
"Dein Bruder, Martha, soll vom Tod' erstehn!"
Ich weiss es, rief ich: an der Tage letztem
Gibt ihn das Grab wie uns zurück. -
Da ward sein Auge ernster; keine Sprache
Nennt dieser Mienen Hoheit; und er sagte:
"Ich bin der Auferwecker, ich das Leben!
Wer an mich glaubt, wird, ob er stürbe,
Doch ewig nicht im Tode bleiben;
Unsterblich Leben ist des Glaubens Lohn. -
Glaubst du nun Martha? Glaubst du nun?"
Auf einmal ward in meiner Seele Tag;
So fühlt ich seine Herrlichkeit,
Sank tiefer vor ihm hin, rief mit Entzücken:
"Ja Herr, du bist der Helfer Israel,
Du bist der Sohn des Gottes Abraham!"
MARIA. O Martha, meine Martha, wie erquickest du
Die müde Seele deiner Schwester!
Hoffnung, Hoffnung - ach dein freudiges Beben
Durchschauert meine Seele! -
Auferwecker! Heil und Leben!
Trost im Tode! Ruh der Frommen!
Lass die Stunde, lass sie kommen,
Die des Glaubens Lohn mir gibt!
Aus des Jammers Nacht erheben
Sich die matten Kräfte wieder,
Und die Seele jauchzt ihm wieder,
Dem sie glaubte, der sie liebt.
Auferwecker! Heil und Leben!
Trost im Tode! Ruh der Frommen!
Lass die Stunde, lass sie kommen,
Die des Glaubens Lohn mir gibt!
MARTHA. Maria! Ach wenn er den Schlummernden
Uns wiedergäbe, unsern Lazarus
Uns wiedergäbe! Leise Ahnung redet
In mir; doch wag' ich nicht, der allzusüssen Hoffnung
Mich ganz zu überlassen. Zwar begegnet
Sie mir, wohin ich blicke; aber ich,
Ich wende meinen Blick und sage:
Entflieh, du Täuscherin! -
Komm, lass uns eilen, dass du selbst
Den Trost von seinen Lippen hörest!
Die Freunde sind zum Grabe
Geeilt, auch kamen viele der Geliebten
Mit dem Propheten.
MARIA. Ich folge, meine Schwester! Ihn zu hören,
Was gleicht der Wonne, wenn er tröstend spricht? -
So fliesst der Tau von Hermon nieder
Auf dürre Flur,
Und mildes Leben fühlet wieder
Die schmachtende Natur.
(Die Musik geht fort. Die Szene verwandelt sich in die Flur vor
dem Hain, wie im Anfang des zweiten Teils).
Die Chöre. Maria. Martha. Nathanael.
(Sie stehen um das Grab; man sieht sie aber nur von fern. Vorn
auf der Szene sieht man)
SIMON. Wie ich wanke! Wie ich irre!
Waren's Stunden, waren's Augenblick,
Dass, im kalten Todesschweiss, am Grabe
der Verwesungen Duft ich in mich sog? -
Ha! wie ich bebte - vor des Blattes Gesäusel,
Des Fittichs Rauschen im Hain, als rasselten Totengebein'
In Grüften! -
Simon, wann, wann kommt die Ruh
In deine Seele zurück?
Sie kehrt nicht wieder! Immer bänger wird
Die Nacht um mich!
(Er fällt nieder und umfasst einen Grabstein.)
Erbarmender -
Wenn, der vernichtet, der Erbarmer ist! -
Entreiss dem Labyrinth den Mann voll Elend!
Er trägts nicht mehr - nicht mehr!
(Die Musik geht sanft fort; Simon erhebt sich wieder.)
Wie wird mir? Welche heil'ge Stille?
Der Klage Lied im Hain verstummt. -
Es schweigt das Tal, die Ebene. - Welch neues Leben
Durchatmet die Naturen! - Immer stiller! -
(Pause der Musik; sie geht in die stärksten Töne über.)
Und nun? Die Gräber - -
Sie sinken unter mir! Die Donner - Schlag auf Schlag!
Zertrümmert Gott den Erdkreis! Rettet
O rettet - rettet! ich versinke!
(Er eilt erschrocken von der Szene).
DAS CHOR. (tritt triumphierend hervor, doch
ohne Lazarus)
Preis dem Erwecker! Preis! Es drang der Allmacht Stimme
Hinab in die Tiefen der Gräber, hinab!
Hoch und hehr ist sein Name! Der Tod entfloh dem Grimme,
Und Auferstehung rauschte das Grab!
Feiert still - sinkt anbetend nieder!
Dem Sieger des Todes singt dankende Lieder!
ABWECHSELNDE STIMMEN AUS DEN CHÖREN.
Er kam, mit Trost des Himmels die Frommen zu erquicken,
Und milde Tränen quollen ihm aus den göttlichen Blicken.
Wie hat er den schlummernden Toten geliebt!
CHOR. Wie hat er den Auferstandnen geliebt!
Er nahte sich der Stätte,
Wo unser Lazarus schlief,
Erhub im hohen Gebete
Zu Gott sich, und seufzte tief.
Da ging durch alle Naturen ein feierndes heiliges Schweigen.
Ich sah die hohe Zeder, der Palme Wipfel sich neigen.
CHOR. Die ganze Schöpfung schwieg!
Nun kehre sein Antlitz der Hoheit Fülle wieder
Er sprach:
CHOR. Wir sanken tief auf blühnde Gräber nieder!
Die Gräber bebten unter ihm!
Die Donner rauschten über ihm!
CHOR. Als käm der Tag des Lohns, als käm der Tag der Rache
Doch um ihn war die Stille feiernder.
Er sprach: -
CHOR. Die Schöpfung blühte herrlicher!
"Mein Freund, mein Lazarus, erwache!"
CHOR. Er ist erwacht! erwacht!
Zerrissen sind des Todes Banden.
Singt Wonnegesang im Tale der Nacht!
Preis dem Erwecker, - Preis! Der tot war, ist erstanden.
Feiert laut! Engel, steiget nieder!
Dem Sieger des Todes singt dankende Lieder!
SIMON (schüchtern hervorkommend)
Die Vorigen.
NATHANAEL. (zu Simon)
Simon! Simon! noch so trübe dein Auge?
Hat nicht das Wunder des Propheten Gottes
Aus deinem Irren dich zurückgerufen?
SIMON. Nathanael, ich weiss von keinen Wundern;
Das Schrecken Gottes donnerte mich nieder. -
Lass mich, ach lass mich meinem Elend!
Ich bin zu elend, mich wie du zu irren.
NATHANAEL. Mich irren? Hast du nicht den Toten selbst gesehn?
Und lebt er nicht?
SIMON. So täuscht der Hoffnung Traum selbst Weise? -
Doch sei glücklich, du
Mit deinem Irrtum - und lass mich
Durch Wahrheit elend sein!
(Lazarus tritt mit offenen Armen aus dem Hain hervor).
Gott! wär es möglich? Ach Nathanael
Ich sinke! - Gott! ist's möglich?
(Nathanael unterstützt Simon.)
Lazarus. Die Vorigen.
LAZARUS. Willkommen, meine Brüder, meine Schwestern!
Wie soll ich reden von des Totenerweckers Preise?
Ihm, ihm den ersten Jubel meiner Lippen!
Lang' lag ich stumm zu seinen Füssen;
Ihr jauchztet ihm,
Er wandte sich zur Hütte.
Ich folgt' ihm nach, und liebend sprach sein Mund:
"Geh, Lazarus,
Zu einen Brüdern! Sing mit deinen Schwestern,
Was Gott dir tat! -"
O dass mit Himmelharmonien,
Wie sie mein horchend Ohr vernahm,
Als ich zu jener Wonne kam,
O dass mit Engelmelodien
Mein Preis ertön und mein Gesang!
Doch ist die Zeugin deiner Ehre,
Die sich zu deinem Preis' ergiesst,
Ist nicht die Zähre,
Die von dem Schwesterauge fliesst,
Dir mehr als Harfenklang?
CHOR. Mehr! Viel mehr! Kein Harfenklang
Nennt unser seliges Entzücken.
Schau her! Es schwimmt in unsern Blicken,
Was keine Sprache nennt, kein Lied dir sang.
LAZARUS. Willkommen, o Schwestern! Willkommen, o Brüder!
CHOR. Willkommen den Fluren! Nun lächeln sie wieder.
LAZARUS. Ich komm' in die Arme der Schwestern, der Brüder.
CHOR. So komm in die Arme der Schwestern, der Brüder!
MARIA. Mein Bruder! ach mein Bruder! Welche Wonne!
(Sie will ihn umarmen)
Doch - darf ich den Verklärten, den Genossen
Der Engel noch umarmen? - Und was wird
Dir, der des Himmels Heiligtum verliess,
Der Schwestern Hütte sein, die Staub sind?
LAZARUS. Ist nicht die Erde Heiligtum,
Wo unser Mittler wandelt? -
Ist, edle Seelen handeln sehn, nicht Himmel?
Maria, jeder Augenblick am Grabe,
Dem Heiligen gelebt, selbst jede Zähre
Der leidenden Geduld führt tausend Stufen
Der Herrlichkeit uns näher! Auch ist's hohe
Belohnung, dem, der bang das Grab umirrt,
Des Lebens Heiterkeit zurück zu geben.
(Er wendet sich an Simon.)
Ja nimm mit diesem Druck der Hand,
Nimm, Simon, nimm sie wieder! Stimm
In unsre Jubel! - Sieh,
Ich bins, an dessen Grabe
Du ohne Hoffnung lagst! Ich bins, und war,
Wo lang' dein Vater, deine Mirjam ist,
Wo deine Kinder, deine Enkel sind.
SIMON. Du sahst sie, Lazarus? - So sind sie noch? -
LAZARUS. Sie sind - und feiern diese Stunde,
Da du dem Schöpfer wiederkehrst, mit Engeln!
SIMON. O Tag des Jubels! Ich bin neu geboren;
Der Name Tod tönt lieblich meinen Ohren:
Ich weiss, dass ich nicht untergeh,
Nicht unerhört zu meinem Retter fleh! -
Nun kehren alle Freuden mir zurück,
Zurück der Trost des Weltgerichts.
Mein Vater war ein edler Mann, und starb
Verkannt, gehöhnt - das stürzte
Mich in der Zweifel Labyrinth. Doch nun,
Nun weiss ich, dass er lebt, und dass nicht ewig säumt
Der Tag des Lohns! -
In Wetterwolken eingehüllt
Kommt dann der Richter, zu vergelten;
Die Erde bebt - der Donner brüllt,
Wehklage tönt aus allen Welten.
Die Tugend schreckt kein Weltgericht;
Sie Schaut mit heiterm Blick zum Throne,
Des Heils gewiss, nach ihrem Lohne,
Und dankt und jauchzt, und zittert nicht.
In Wetterwolken eingehüllt
Kommt dann der Richter, zu vergelten;
Die Erde bebt - der Donner brüllt,
Wehklage tönt aus allen Welten.
Die Tugend schreckt kein Weltgericht;
Sie dankt und jauchzt, und zittert nicht.
NATHANAEL. O Brüder, welche ein Festtag! Welche Schauer
Der seligen Gewissheit beben sanft
Durch unser Innres! Was wird jener Tag sein,
Wo alle Gräber hören Christus Stimme,
Ach jener Tag, da wir ganz selig
Uns an des Richters Thron' umarmen!
Ich möcht', ich möcht' ihn singen! - Doch
Dem allgewaltigen Gefühl
Erliegt mein Geist. Singt ihn, in deren Ohr
Schon Engeljubel drang, mit den geweihten Lippen!
LAZARUS. Ich will dich singen, dass die Erde
Voll deines hohen Ruhmes werde,
Bis sich die Lippe sterbend schliesst.
JEMINA. Mein stiller Dank soll dich erheben,
Des Todes Sieger, bis mein Leben
Ins Meer der Ewigkeiten fliesst, -
BEIDE. Wo ganz mein Geist unsterblich ist.
LAZARUS. Mit des Himmels Jubelton
Sing' ich dann den hohen Namen,
Den verhüllt der Seraph nennt.
JEMINA. Auch mit Allen, die zum Thron
Durch das Tal des Todes kamen,
Sing' ich, wo kein Tod mehr trennt,
BEIDE. Wo ew'ger Jubel Ihn erhebt,
Durch den mein Geist unsterblich lebt!
ZWEI CHÖRE.
ERSTER CHOR. Heilge Stätte, wo entschlafne Brüder
Friedlich Staub und Erde deckt!
Du gabst die Saat der frühen Ernte wieder;
Der tot war, unser Freund,
Ist herrlich aufgeblüht!
ZWEITER CHOR. Auch uns erweckt
Der Sohn des Vaters, wann hernieder
Sein grosser Tag durch alle Himmel schwebt!
Die Gräber beben,
Meere rauschen von Leben,
Im Tal der Leichen blüht
Ein ew'ger Lenz hervor!
BEIDE CHÖRE. Komm, Wonnetag! Dir heben wir
Die Häupter freudig auf;
Dann, Nacht der Gräber, dann geht über dir
Ein ew'ger Morgen auf!
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